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1953
Lokalteil
Nr. 118 – Samstag, 23. Mai 1953

"Kalkbahn" feiert Goldjubiläum

Die Eisenbahnstrecke mit den höchsten Einnahmen des Bundesgebietes

NIEDERBERG. Eine der interessantesten Eisenbahnstrecken des Bundesgebietes feiert am 28. Mai ihr 50jähriges Bestehen: die Verbindung zwischen Wülfrath und Ratingen-West, die unter dem Namen "Angertalbahn" oder Kalkbahn" bekannt geworden ist. Beide Namen sind richtig, denn die 17 km lange Eisenbahnstrecke durch das Angertal "lebt" vom Kalk, der in dem größten Steinbruch Europas in Wülfrath-Flandersbach der Rheinischen Kalksteinwerke gebrochen, mit dem größten Brecher des Kontinent zermahlen und über die merkwürdigste Eisenbahnstrecke ins Ruhrgebiet zu den Hüttenwerken gefahren wird. Merkwürdig deshalb, weil diese Strecke nur Kalkzüge kennt, wenn man von den paar Rüben- und Strohwagen der Bauern und den Kokszufuhren der Werke absieht. Sie machen insgesamt keine 15 Prozent des gesamten Frachtraumes aus. Und merkwürdig auch deshalb, weil kein Personenzug hier verkehrt, die Strecke mehr an Gewinn aufbringt als das gesamte übrige Netz der Wuppertaler Eisenbahndirektion. Sie ist mit einem Wort "die gesundeste Strecke" des gesamten Bundesgebiets.

Sie verdankt ihr Entstehen der Initiative August Thyssens, der auf der Suche nach einem frachtgünstigen Kalkvorkommen für seine Industriebetriebe an Rhein und Ruhr nach Wülfrath kam und die Rheinischen Kalksteinwerke gründete. Der Abtransport des Massengutes war, weil keine Bahnlinie vorhanden, die große Schwierigkeit, obwohl die Entfernung zu den Hüttenbetrieben über die Schienenstränge der vorhandenen Verbindung außerordentlich gering war. Die neue Bahnlinie war der Ausweg. Sie ist zwar nur 17 km lang, aber Jahre dauerte es, bis man die Vorbereitungen abgeschlossen hatte und man mit dem Bau beginnen konnte. Tausende Italiener wurden eingesetzt, die sich zum großen Teil nach Fertigstellung der Bahn seßhaft machten und als Arbeiter in den Steinbrüchen der Rheinischen Kalksteinwerke tätig wurden. Der Menschenschlag, der hier an der Kalkbahn wächst, deutet auf romanisches Blut. Man braucht nicht einmal die Namen zu hören, um zu wissen , daß es sich um Nachfahren der Männer handelt, die vor 50 Jahren die Eisenbahnstrecke zwischen Wülfrath und Ratingen-West bauten. Schwere und schwerste Erdarbeiten wurden erforderlich, zahlreiche Sprengungen mußten durch geführt werden, um die Trasse durch das teilweise enge, teilweise sumpfige und versumpfte Angertal ziehen zu können.

Billig wurde die Strecke nicht, obwohl man die ausländischen Hilfskräfte nicht gerade besonders gut bezahlte. Die Geländeschwierigkeiten in dem zerklüfteten Randgebirge, dem Wiesental mit dem ständig ändernden Fluß verteuerten die Kosten, machten Brückenwerke erforderlich, die man auf einer solch kurzen Strecke normalerweise kaum findet. Nicht weniger als 14 führen über die Anger. Dazu kommen noch die Übergänge für Gemeindewege und Feldwege.

Jährlich 2,3 Millionen Tonnen Kalk

Aber die Strecke machte sich bezahlt. Vom ersten Tag an. Der Kalkbedarf der Industrie war nicht nur ein gutes Geschäft für die Kalkindustrie, sondern die Eisenbahn war immer mit einem nicht unerheblichen Prozentsatz durch die Frachtkosten beteiligt. Einige Zahlen aus den letzten 30 Jahren beweisen das. 1920 wurden 289 498 Tonnen Kalkstein über die Bahn transportiert, 1925 verluden die Rheinischen Kalksteinwerke 340 937 Tonnen. Die Zahl war 1932 auf 614 233 Tonnen gestiegen. Sie kletterte in den Jahren der Aufrüstung, erreichte ihren Höchststand im Krieg. Die Produktion lief auf höchsten Touren, blieb ungestört durch feindliche Einwirkungen. Die eingleisige Kalkbahn durch das stille Tal der Anger merkte kaum etwas vom Krieg.

Im Februar 1953 wurden bereits 162 000 Tonnen Kalk über die Strecke gebracht. Insgesamt wurden dafür 6000 Waggons benötigt. Täglich waren das 250 Stück. Sie Zahlen liegen unter den Durchschnitt, weil in dieser Zeit die Bautätigkeit durch die Witterung völlig zum Erliegen gebracht worden war und Baukalk nicht abgerufen wurde. Düngekalk konnte nicht abgefahren werden, weil die Äcker noch unter Schnee lagen. Der Durchschnitt lag im vorigen Jahr bei monatlich 193 000 Tonnen Kalk. Diese Menge rollte über die Strecke. Großraumwagen, offene Loren, gedeckte Wagen, Kalkkübelwagen, alle Wagensorten, über die die Eisenbahn verfügt, waren daran beteiligt. Der Wagenumlauf ist sehr schnell. Anderthalbmal täglich läuft so ein Waggon. Das ist das zweite Erfolgsgeheimnis des Güterverkehrs zwischen dem niederbergischen Kalkzentrum und den Verbrauchern im Industriegebiet.

Planung begann 1895

Die Eisenbahn ist schuldlos an dieser Linie, die die dicksten Erträge mit einer an Gehaltszahlung erinnernden Pünktlichkeit bringt. Zuerst wollte die Stadt Wülfrath, die aus gutem Grund an der verkehrsmäßigen Erschließung der reichen Kalkvorkommen interessiert war, eine Linie bauen, die über Hofermühle nach Hösel führen sollte, um dort in die bereits bestehende Linie Essen-Kettwig-Ratingen-Düsseldorf einzumünden. Man bekam bei diesem Projekt Streit mit Velbert und Thyssen, der eine Privatbahn über Heiligenhaus wollte, die durch einen Tunnel nach Kettwig vor der Brücke führen sollte.

Im August 1895 ließ die Stadt Wülfrath den Plan der Angertalbahn ausarbeiten. Der Abgeordnete im Preußischen Landtag von Böttinger aus Velbert und Bürgermeister Kirchbaum aus Wülfrath – beider Andenken wird heute noch in Ehren gehalten – legten den Plan beim Verkehrsministerium in Berlin vor. Er wurde akzeptiert, als die Wülfrather bereit waren, den Grunderwerb durchzuführen. Die Kosten beliefen sich auf die damals horrende Summe von 35 000 Mark. Aber die kleine Gemeinde Wülfrath schaffte es doch. Für sie stand alles auf dem Spiel. Die Gesamtkosten der Strecke wurden auf 2 070 000 Mark veranschlagt. Das Preußische Land gab das Geld. Mit dem Beschluß vom 24. Mai 1897 wurde der Bahnbau endgültig genehmigt.

Vom Beschluß bis zur Ausführung war schon damals ein weiter Weg. Erst 1901 wurde der erste Spatenstich getan. Aber dann besorgte man die Arbeit gründlich. Von Wülfrath wurde die Trasse nach Flandersbach gezogen und ausgebaut, von dort folgte man dem Lauf der Anger, baute die Bahnhöfe Flandersbach, Hofermühle, Steinkothen. Anfang des zweiten Weltkrieges kam die Abzweigstelle Anger hinzu, um die Kalkzüge ohne Aufenthalt ins Industriegebiet fahren zu können. Für die Rheinischen Kalksteinwerke, die selbst über ein ausgedehntes privates Schienennetz verfügen, wurde die Abzweigstelle Rohdenhaus zu einem ausgewachsenen Verschiebebahnhof.

Ohne Sperre und Fahrkartenschalter

Der Personenverkehr auf der Strecke ist nie sonderlich groß gewesen. In den ersten Jahrzehnten verkehrten vier Zugpaare. Die Zahl schrumpfte vor dem Krieg ein, kam dann wieder auf den alten Stand, als alle anderen Verkehrsmittel versagten, die Arbeiter von Ratingen und Düsseldorf nach Wülfrath zu bringen. Herbst 1945 wurde der Personenverkehr ganz eingestellt. Lediglich an einen Morgen- und einen Abendzug hängte man einen Personenwagen an. Seit dem 1. Dezember 1952 ist auch das nicht möglich. Unentwegte Eisenbahnfahrer können mit einer Sondergenehmigung der Wuppertaler Direktion in den Packwagen eines Kalkzuges klettern. Allerdings nur an Werktagen, denn sonntags ruht der Verkehr auf der Strecke. Sonntags wird in den Kalksteinbrüchen nicht gearbeitet, fällt also auch kein Transportgut an. Sonntag ist eben Sonntagsruhe. Die Eisenbahnbediensteten sind deswegen nicht böse. Sie kennen wieder etwas von Sonntagsruhe.

Bedauerlich, daß hier an Sonntagen kein Schienenfahrzeug verkehrt, sagen andere, die die Schönheit des Angertals kennen. Die Eisenbahn könnte Geschäfte machen, meinen diese, wenn sie Schienenbusse am Wochenende und an Sonntagen einsetzte. Von Wuppertal und von Düsseldorf aus. Aber die Wuppertaler Direktion ist harthörig. Sie reagiert nicht oder nur sauer. Dabei hätte die gut verdienende Strecke verdient, daß man auch einmal zusätzlich etwas leistet, gewissermaßen als Zugabe zum guten Geschäft. Ein Schienenbus, der hier pendelte, würde die Fahrgastfrequenz heben, wenn man die richtige Reklame zur richtigen Zeit und am richtigen Ort machte.

Der erste Lokführer lebt noch

Nicht nur auf den Lokomotivenpfiff kommt’s an, auch auf den "Reklamen-Reklamen-Pfiff". Davon verstehen die Männer des Flandersbacher Bahnhofs, der einen verschlossenen Warteraum, eine nicht benutzte Fahrkartenausgabe und einen Bahnsteig ohne Sperre hat, augenscheinlich etwas mehr. Sie feiern am 31. Mai das Jubiläum der Strecke und haben den alten Fritz Sengebusch aus Ratingen, Zur Heide, eingeladen, der die erste Lok fuhr. Fritz Sengebusch ist mittlerweile 93 Jahre alt geworden. Seine beiden Schaffner, 77jährig, waren Emil Krüsselberg und Johann Stiefken, beide aus der Industriestraße in Ratingen, werden gleichfalls dabei sein. Dazu kommen alle möglichen Ehrengäste, auch von der Direktion in Wuppertal. Vielleicht macht man am Jubiläumstag einmal eine Probefahrt mit einem Schienenbus von Wülfrath nach Ratingen. Am Objekt wäre zu studieren, ob es sich lohnt, dies Tal dem Fremdenverkehr zu erschließen.

30 Züge fahren durchschnittlich im Tag über die Jubiläumsstrecke, nach Duisburg-Ruhrort, Oberhausen-West, Oberhausen-Hütte und Gelsenkirchen in der Hauptsache. Davon haben zwölf Züge Großraumwagen. Auf einen kleinen Schienenbus kann’s nicht ankommen ? Da haben die Flandersbacher mehr Mut, die eine eigene Festschrift für diesen Jubiläumstag herausbrachten und den Tag würdig begehen wollen, am dem vor 50 Jahren zum erstenmal Fritz Sengebusch mit seiner Lok durchs Angertal gen Wülfrath fuhr und pfeifend und bimmelnd die Kühe vom Damm trieb, die sich auf den Schienen niedergetan hatten . . .

23. Mai 1953

Jeder Kilometer Schienen ist Millionen wert

Goldjubiläum der niederbergischen "Kalkbahn"-Rentabelste Strecke der Bundesbahn

Ratingen. Westdeutschlands rentabelste Eisenbahnstrecke feiert am 28. Mai ihr Goldjubiläum. Fünfzig Jahre ist es her, seit Lokführer Fritz Sengebusch auf die erste Maschine der "Kalkbahn" kletterte, um unter Sirenengeheul die weißgepuderten Wagen durch das blühende und grünende Tal der Anger zu schleppen. Nur 17 Kilometer ist die Strecke zwischen den Kalksteinwerken in Wülfrath-Flandersbach und der Stadt Ratingen lang. Doch dieser "Katzensprung" bringt der Eisenbahndirektion Wuppertal mehr Gewinn als ihr gesamtes übriges Netz.

Als August Thyssen Ende des vorigen Jahrhunderts die Rheinischen Kalkwerke gründete, hatte die für die Abnehmerwerke der Schwerindustrie so günstig gelegene Produktionsstätte nur einen Fehler. Eine Bahnverbindung in das abgeschiedene Tal der Anger bestand nicht, so daß der Abtransport der schweren Kalkladungen erhebliche Schwierigkeiten bereitete. So ließ die Stadt Wülfrath - an der Erschließung der Kalkvorkommen stark interessiert - schon 1895 den Plan einer Bahnstrecke längs der Anger ausarbeiten, der sechs Jahre später mit den Gesamtkosten von über zwei Millionen Goldmark verwirklicht wurde.

Dieses Geschäft hat sich inzwischen für die Eisenbahn hundertfach bezahlt gemacht. Tag und Nacht poltern Tonnen von Kalkstein aus den Brechanlagen des Werks in die bereitstehenden Waggons. Tag und Nacht hasten die Rangierloks über das Gleisgewirr des weitverzweigten Verschiebebahnhofs Rohdenhaus. Pausenlos werden Güterzüge aller nur erdenklicher Wagensorten zusammengestellt und nach allen Gegenden des Bundesgebiets abgefertigt. Rund 15 Züge verlassen täglich schwer beladenden Bahnhof Flandersbach, um pfeifend und bimmelnd durch das romantische Angertal in Richtung Ruhrgebiet zu rollen. Rund 2,3 Millionen Tonnen Kalk wurden im vergangenen Jahr auf dieser Strecke befördert, eine gewaltige Menge, die sich mit dem Ausbau der Werke noch laufend steigen wird.

Wo immer Kalk und nochmals Kalk gefahren wird, bleibt wenig Platz für den Personenverkehr. Doch gerade das ist bedauerlich, weil die Strecke durch eines der reizvollsten Täler des niederbergischen Kreises führt. eingeklemmt zwischen den hohen Buchenbeständen folgt sie dem Flußlauf durch Wiesen und Auen, die der Wanderer zu Fuß kaum oder zumindest nur über beträchtliche Umwege erreicht. Doch bevor nicht endlich ein Schienenbus wenigstens am Sonntag diesen romantischen Flecken erschließt, werden die Eisenbahner die einzigen sein, die Weltabgeschiedenheit dieser Strecke genießen.

Die Eisenbahner, die "von der Kalkbahn", bleiben auf Biegen und Brechen ihrer Strecke treu, auch wenn einmal eine Kuh auf den Gleisen den Plan über den Haufen wirft, oder ein Bäuerlein mit seinem Gefährt seelenruhig einen der vielen Übergänge versperrt. Diesem Reiz der Kalkbahn kann auch Lokführer Sengebusch nicht widerstehen, der - wenn es nach ihm geht- felsenfest entschlossen ist, sich mit seinen 93 Jahren noch einmal hinter den Regler zu stellen, um den Jubiläumszug mit der ganzen großen Eisenbahnerfamilie an Bord über die 17 millionenschweren Kilometer zu fahren.

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